der Portier

Es war einmal ein Mann, der arbeitete als Portier im Freudenhaus so wie sein Vater und dessen Vater vor ihm. Eines Tages kam der Besitzer des Freudenhauses zu ihm und meinte, er solle jetzt beginnen Statistik zu führen, um die Geschäfte besser auf die Bedürfnisse der Kunden abzustimmen. Dafür gab er ihm ein Buch und einen Bleistift. Überrascht erwiderte der Portier, dass das leider nicht ginge, denn er könne weder lesen noch schreiben. Schade, erwiderte der Besitzer, so müsse er ihm kündigen.

Der Portier fiel aus allen Wolken. Einwände halfen nicht. Frustriert nahm er eine kleine Abfindung und räumte seinen Platz. Er wusste zunächst nicht, wovon er in Zukunft leben sollte, bis ihm eine Idee kam. Gelegentlich hatte er im Freudenhaus Stühle und Tische ausgebessert. Er besaß eine gewisse handwerkliche Begabung. Also beschloss er, sich für die Abfindung einen Werkzeugkasten zu kaufen, um sich mit Aushilfsarbeiten über Wasser zu halten.

Um den Werkzeugkasten zu kaufen reiste er in das zwei Tagesmärsche entfernte Nachbardorf. Wieder zuhause klopfte es an seiner Haustür. Der Nachbar stand vor ihm und fragte, ob er ihm einen Hammer borgen könnte. Der ehemalige Portier antwortete, er hätte zwar einen, doch den würde er nur sehr ungern verleihen. Der Nachbar bot ihm daraufhin ein Geschäft an. Er würde ihm den Hammer abkaufen, denn Zeit, selbst ins andere Dorf zu reisen, hatte er als arbeitender Mensch nicht. Dafür würde er dem Portier aber nicht nur den Hammer, sondern auch einen Ausgleich für dessen Zeitaufwand zahlen. Der Portier ging auf den Handel ein. Als Arbeitsloser hatte er tatsächlich genügend Zeit.

Am folgenden Tag klopfte es erneut an der Tür. Es hatte sich offenbar herumgesprochen, dass er einen gut sortierten Werkzeugkasten besaß. Ein anderer Nachbar bat ihn um die Zange. Wieder kam es unter den bekannten Vorzeichen zum Geschäft.

Der Portier begab sich in den nächsten Tagen auf seine zweite Reise. Da es scheinbar eine Nachfrage nach Werkzeug in seinem Dorf gab, investierte er den Rest seiner Abfindung und das erworbene Geld, um mehr Werkzeug zu kaufen, als er selbst benötigte. Und seine Rechnung ging auf. Im Dorf war schnell bekannt, dass der Portier über gutes Werkzeug verfügte. So kamen immer mehr Menschen zu ihm, um ohne großen Zeitaufwand Eisenwaren zu kaufen.

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Erst reiste er einmal pro Woche für Nachschub, doch rasch wurde ihm klar, dass es rentabler wäre, einen Vorrat vor Ort bereit zu halten. Das Interesse an seinen Eisenwaren war so groß, dass er sich einen kleinen Laden mietete, den er schon bald um einen Lagerraum erweiterte.

Die Reisen ins Nachbardorf konnte er aufgeben, denn im gelang eine Verabredung für die Anlieferung seiner Waren. Immer mehr Kunden fanden den Weg in sein Geschäft. Eines Tages saß er mit seinem Freund dem Schmied zusammen, da hatte er die Idee, die Eisenwaren selbst anzufertigen. Aus der Zusammenarbeit erwuchs die eigene Eisenwarenproduktion.

Von Jahr zu Jahr steigerte sich das Volumen. So kam es, dass der Portier zum mächtigsten Eisenwarenproduzenten der Region aufstieg. Nach knapp 10 Jahren war er der einflussreichste Wirtschaftsboss des Landes.

Mit dem Erfolg wuchs auch sein Wunsch den Menschen, die zu seinem Wohlstand beitrugen, etwas Gutes zu tun. Dabei vergaß er seine niedere Herkunft nicht. Er engagierte sich für die Armen und Kranken und investierte einen Teil des Gewinnes in soziale Projekte. Unter anderem gründete er eine Schule für die Kinder der ärmsten Familien.

Die feierliche Eröffnung der Schule sorgte für großes Aufsehen. Presse und Fernsehen waren ebenso anwesend wie die wichtigsten Würdenträger des Dorfes. Der Bürgermeister hielt die Dankesrede auf den Wohltäter und bat ihn sogleich zu einem Eintrag in das goldene Buch des Dorfes.

„Sehr gerne würde ich dieser Bitte nachkommen“, erwiderte der Portier, „aber ich kann weder lesen noch schreiben.“ Den Bürgermeister ergriff Bestürzung: „Was! Ein Mann wie Sie kann nicht lesen und schreiben“, rief er, „Sie haben ein Wirtschaftsimperium aus dem Nichts erschaffen. Sie gehören zu den angesehensten Persönlichkeiten unserer Zeit. Was hätte aus Ihnen werden können, hätten sie lesen und schreiben gekonnt!“

Die Antwort des Geehrten kam prompt: „Das kann ich Ihnen sagen: Portier im Freudenhaus.“

(Nacherzählung von Jorge Bucay)

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