junge Frau sitzt genervt im Büro

„Boah – die nervt mich so“ – sagte erst eine junge Frau zu mir, als sie sich tierisch über eine Freundin aufregte. Ihr „die nervt mich so“ hat mir wiedermal in kürzester Zeit gezeigt, wie viel Veränderung möglich ist, wenn Menschen wirklich ihr Leben in die Hand nehmen.

Verantwortung tragen

Ich fragte nach, aus Interesse. Letztlich kam raus, dass das Verhalten der Freundin nervt. Was mich motiviert hat, den Artikel zu schreiben, denn „genervt“ höre ich jede Woche von jung bis alt, wenn es um die Befindlichkeit geht.

Ja, wir leben in einer Schuldkultur, das wird sich auch nicht so schnell ändern. Doch will ich für mich sagen können, dass ich mein Bestes gebe, um Menschen zum Perspektivwechsel einzuladen.

Es ist ein Unterschied, ob es um mein Gegenüber als Person oder um dessen Verhalten geht.

Reduziere ich mein Gegenüber auf sein Verhalten oder sehe ich ihn als Mensch mit all seinen Fassetten?

„Boah, die geht mir auf die Nerven“ ist ein Gedanke, der mich selbst total stresst. Ja, stresst, denn meine Stressoren rufen laut: „Alarm, Alarm“. Während dessen schnieft meine Selbstfürsorge ins Taschentuch und denkt sich „rechtzeitig reagieren ist was anderes, das hast du vergeigt“. Dabei spüre ich eine Traurigkeit und manchmal auch Wut, dass erst meine Stressoren auftauchten, bevor ich agiere. In manchen Situationen fühlt es sich auch wie ein Versagen an, was ich liebevoll annehmen kann. Denn letztlich weiß ich, wenn mir jemand auf die Nerven geht, dann sollte ich definitiv näher hinschauen. Überprüfen warum mir jemand so nahe kommen kann und an meinem Nervensystem kratzen kann.

Genervt – wirklich?

In den letzten Monaten ergaben sich immer wieder Gespräche in meinem Umfeld. Es ist total spannend, denn meistens ist ein „genervt sein“ gepaart mit Überforderung. Bzw. als wir tiefer in den Austausch gingen und genauer nachgefühlt haben, stellen einige Menschen fest, dass „genervt sein“ gesagt, doch „überfordert sein“ gemeint ist. Oftmals auch von dem Gefühl der Hilflosigkeit begleitet, was für viele Menschen ein sehr unangenehmes Gefühl ist.

In meinem jugendlichen Leichtsinn hätte ich beinahe geschrieben „Die Gefühle dürfen doch sein“. Doch das heißt wiederum berührbar und menschlich zu sein. Ich habe nicht das Gefühl, dass das in der Gesellschaft gern gesehen oder gewünscht wird.

Was nervt mich?

Diesen Schmerz kenne ich, es ist die Wahrheit, die ich erkenne. Es nervt mich nicht das Verhalten meines Gegenübers. Ich bin enttäuscht, dass sich mein Gegenüber so verhält. Es geht dabei nur indirekt um mich, denn ich weiß das schon viele Jahre… Ich sehe die schöne Seele in meinem Gegenüber und durfte lernen, dass nicht jeder sein volles Potenzial als Mensch entfalten möchte. Manchen reicht überleben und funktionieren. Was für mich oft schwer zu akzeptieren ist. Ich spüre da tiefes Mitgefühl für beide Seiten.

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Es fordert mich, wenn Menschen angstgeleitet handeln. Angst darf jeder haben, dieses Gefühl finde ich sogar sehr wichtig. Doch  Angst sollte nie die Entscheidungskraft sein. Ist doch die Selbstbestimmtheit ein Privileg und unsere Gefühle werden von unseren Gedanken genährt.

Wenn jemand je nach dem Umfeld, seine Farbe wie ein Chamäleon ändert, nervt mich das tierisch. Ich bin enttäuscht, dass ich die Authentizität nicht sehe. Wütend darüber, dass meine  Lebenszeit nun mit einem Theater gefüllt wird. Doch auch traurig, dass diese schöne Seele, die ich sehe, erkenne und schätze, sich selbst nicht erkennt. Es irritiert mich wenn sie sich nicht immer zeigt. Es ist oft eine Mischung aus Wut und Entttäuschung, dass sich erwachsene Menschen lieber ablenken, als mit sich selbst auseinanderzusetzen. Was den Kindern und Jugendlichen damit vorgelebt und mitgegeben wird, möchte ich gar nicht genauer erwähnen.

Was kannst du daraus mitnehmen?

Bei mir ist es definitiv so, dass ein genervt sein sehr klar und mit Begleitgefühlen oder Emotionen kommt. Fast immer, wenn meine (Grund-)Werte wie z.B. Respekt (für andere Menschen und für sich selbst) nicht gelebt, sondern verletzt oder verachtet werden.

Mein Humor ist da eine gute Ressource um es nicht persönlich zu nehmen. Letztlich darf ich mein Gegenüber im „Ist-Zustand“ erkennen. Doch wenn ich mal so genervt bin, dass es mich wie die Jugend sagen würde „langweilt“ uiii, dann wird es kritisch. Dann könnte schnell mein innerer Teenager hervorkommen und die Konfrontation mit dem Thema suchen.

Natürlich achte ich „leben und leben lassen“, doch bei zweierlei Maß und einem trotzigen Gegenüber, kann ich manchmal nicht anders. Ich frage freundlich nach, vielleicht verstehe ich ja etwas falsch. Doch EIN Wert ist EIN Wert und darf wertgeschätzt und gelebt werden.

Meistens kann ich in die Dankbarkeit kommen, dass ich die schöne Seele meines Gegenübers erkenne, wir uns respektieren, schätzen und unterschiedliche Haltungen akzeptieren. Was ich auch oft direkt kommuniziere.  Manchmal bin ich auch dankbar für mich, dass ich es mir wert bin, meine Werte, mein Sein zu betrachten. Doch manchmal sage ich auch liebevoll danke für die Begegnung und akzeptiere, dass der gemeinsame Weg sich nun gabelt.

Mögen der nächste angekratzte Nerv dich mit einem Perspektivwechsel beglücken und dich einladen den Begleitgefühlen nachzuspüren.

Die Autorin

Jessica Ehrlicher

Ich bin Jessica Ehrlicher und unterstütze Menschen dabei sich selbst zu begegnen und kennenzulernen. Die Begleitung, Beratung und Coaching für kleine und große Menschen erfüllt mein Leben.

Mehr Informationen über mich und was ich so mache, findest du auf meiner Seite: https://www.jessica-ehrlicher.de

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